Zwischen all diesen Bärten…

Im Internet gibt es ein wunderbares Video. In dem stehen Justin Vernon von der Band Bon Iver und Matt Berninger (The National) in einem Radio-Studio und geben gemeinsam den National-Song Vanderlyle Crybaby Geeks zum Besten. Die beiden sehen aus wie Klone, oder Zwillinge oder zumindest Brüder: Blondes ungekämmtes Haar, blonder Vollbart, die Seele mehr nach innen als nach aussen gekehrt. Spooky.

Vernon und Berninger (samt Band) sind zwei wuchtige Pfeiler der amerikanischen Musikszene, um die herum  seit Jahren somit das Beste geschrieben, produziert und veröffentlicht wird, was es an der messerscharfen Kante zwischen Indie-Geniestreich und Indie-Massenmarkt gibt. Der Vollständigkeit halber  – aber natürlich auch, weil er blondes, ungekämmtes Haar und einen tollen blonden Vollbart  trägt  – muss hier auch Bonnie Prince Billy genannt werden, der Gottvater. Geprägt wird ihre Musik von einer herausragenden Musikalität, genialen Arrangements und einem unverkennbaren Bekenntnis zu einem Amerika aus unseren Träumen  – mit weiten Straßen, grünen Wäldern, Bären, Seen und zum niederknien schönen Stadtteilen in Brooklyn.

Nimmt man diese drei als Ausgangspunkt, landet man unweigerlich bei vielen weiteren Zotteln. Sei es nun William Fitzsimmons oder Port O‘Brian. Diese Übung wurde in letzter Zeit oft geturnt. Wesentlich spannender ist aber ein Blick auf die Vielzahl phantastischer weiblicher Singer-Songwriter, die sich zwischen all diesen Bärten dazu aufschwingen die Welt zu verzaubern: Cheyenne Marie Mize, Sharon van Etten, Eleanor Friedberger oder nicht mehr ganz so neu, aber an dieser Stelle anschlussfähig: Kathleen Edwards. Sagenhafte, kunstvolle Namen tragen die Damen und geben ihrer Musik damit herrliche Label.

Cheyenne Marie Mize zählt zum Live-Ensemble von Bonnie Prince Billy und kommt, sehr passend, aus dem tief-amerikanischen Louisville, Kentucky. 2010 und 2011 veröffentlichte sie eigene Platten, die vor allem von ihrer beeindruckenden Stimme geprägt sind. In einem  verschlagenem Flirt mit Country-Musik wird ausgiebig gefidelt und die Klampfe gestrichen. Herrlich. Das Ganze ist so unprätentiös, dass man sich am liebsten sofort zu einem Drink mit der Dame einladen will, wäre da nicht das Höllen-Ding Namens Atlantik zwischen uns.

Noch viel weniger Angst vor Country hat die Kanadierin Kathleen Edwards. Schon seit 2003 dabei, aber ihr aktuelles Album Voyageur wurde von Justin Vernon produziert, der ihrer Musik den  entscheidenden Arschtritt in Richtung Großartigkeit gab. Angeblich sind die beiden mittlerweile ein Paar und holen sich ihre Inspiration vielleicht beim Squaredance.

Eng angedockt an The National ist Sharon van Etten. Nachbarschaft in Brooklyn scheint zu verbinden. Die zwischenzeitlich heimatlose van Etten wohnte offenbar vorübergehend bei Aaron Dessner (The National, Gitarre) in dessen Garage er dann auch gleich die Produktion des phantastischen Albums „Tramp“ übernahm, das Sharon van Etten beim Label Jagjaguar veröffentlichte. Und hier schließt sich ein weiterer Kreis, denn bei Jagjaguar veröffentlicht auch Justin Vernon. Hach, wie schön, wenn sich alle kennen. Auch van Etten macht nicht erst seit gestern Musik. Aber Dessner und sein Bruder Bryce garnierten Tramp mit dem richtigen Maß an Wildheit und arrangierten es mit viel Finesse. Das geht soweit, dass man den Song Serpents problemlos für einen The National-Song halten könnte: Das treibende Schlagzeug, der ewig langgezogene E-Bow-Gitarrenton… bloß: Hier singt ja kein Bart, sondern Madame van Etten.

Bleibt ein Blick auf Eleanor Friedberger. Vorzeige Neo-Hippie-Bohème-Hipster-NYC-Irgendwas. Spielt eigentlich in einer veritablen Indie-Combo mit ihrem Bruder (The Fiery Furnaces), lieferte 2011 aber mit ihrem Soloalbum „Last Summer“ den fluffig-urbanen Soundtrack für alles vom Sonntags-Brunch bis zum Aperitivo mit Freunden. Das geht so locker lässig rein ins Ohr, dass es eine wahre Freude ist und man die Platte ruhig einige Stunden als Endlos-Schleife hören kann. Für die Nerds: Angeblich verdanken wir den Franz Ferdinand-Song „Eleanor put your boots on“ dem Fräulein Friedberger. Die Franzens haben zwar keine Bärte und sind keine Amerikaner. Aber immerhin. Man ist wohl rumgekommen.

In diesem Sinne: Ein dreifaches Hoch auf Frauen ohne Bärte und mit Gitarren!