Guter Migrant, böser Migrant

von mariomuenster

Für die Berliner macht es offenbar einen großen Unterschied ob man aus Kansas oder Kenia nach Berlin kommt. Ein paar Gedanken zum Thema Migranten-Bashing.

Kürzlich saß ich zu vorgerückter Stunde in einem Restaurant im Prenzlauer Berg. Meine Gesellschaft bestand teilweise aus jungen Frauen und Männern, die englisch sprechen. Weil sie aus Ländern kommen, in denen man eben englisch spricht. Also unterhielten wir uns auf englisch. Über das selbstgebraute Bier und über Songs. Was man so redet. Aber da war dieses Unbehagen. Diese Blicke der eingesessenen Zugezogenen an den Nachbartischen, die mir sagten: „Ah, diese Touristen!“ oder vielleicht auch „Ah, diese amerikanischen Neuberliner!“ Ich fühlte mich als etwas abgestempelt, dass ich gar nicht bin. Vielleicht habe ich das alles auch nur in diese Blicke hineininterpretiert. Wie auch immer, ich hatte den Drang deutlich zu machen, dass ich kein Tourist bin und kein Ex-Pat-Frischling. Und dieser Drang muss ja irgendwo seinen Ursprung haben. Das denke ich mir ja nicht aus. Von Verfolgungswahn wüsste ich. Hoffentlich…

Ein paar Tage später, gestern, genauer gesagt. Im Sonnenschein eines Kreuzberger Morgens ziehe ich meinen Koffer die Schlesische Straße entlang zum Bahnhof. Ich verreise. Privat-dienstlich. Und da ist wieder dieses Gefühl. So ein kleiner Kobold, der auf meiner Schulter sitzt und mir einflüstert, dass die jetzt alle denken, ich sei so ein Easyjet-Tourist, der in einer gewerblich vermieteten Privatwohnung ein paar Tage lang hauste, um das Berliner Nachtleben mit seiner Exotik zu bereichern, ehe er dann wieder nach Stockholm fliegt. Und wieder der Gedanke: Wie kann ich jetzt zeigen, dass ich ein Einheimischer bin? Resident! Ich überlege kurz einfach laut in den blauen Himmel zu brüllen „Ick liebe dir Marlene“ oder ein paar Passanten anzurempeln. Eben was authentisch Lokales. Am Ende des Gedankens sitze ich zum Glück schon im Taxi.

Und jetzt frage ich mich: Was soll das? Warum unterscheidet man in den mutmaßlich aufgeklärten Berliner Innenstadtbezirken in der dieser Stadt so einzigartigen Dialektik zwischen guten und bösen Migranten? „Warum tun die das?“, um es mal mit Fraktus zu sagen.

Berliner Volksmoral: Von guten und bösen Migranten

Vielleicht zur kurzen Erklärung der innerstädtischen Berliner Volksmoral in Sachen Migration:

Migrant, der gute.
Aus Schwarzafrika, Bulgarien oder Rumänien. Arme Hunde, alle. Kämpfen nicht selten ums Überleben als Drogenverkäufer, organisierte Bettler oder fahrende Musikanten. Man kann nicht sagen, dass die ungelösten Aufenthaltsfragen und Probleme dieser Menschen die Stadt bereichern. Aber sie sind hier. Das ist richtig so, weil es vermutlich, ja hoffentlich, besser als ihr altes Leben ist. Und wir sollten helfen. Denn eigentlich könnten sie eine Bereicherung für Berlin sein. Das ihnen die Solidarität so vieler sicher ist, ist ein zivilisatorisches Gut. Zwingend zu bewahren. Nicht selbstverständlich.

Migrant, der böse.
Aus den USA, Skandinavien oder Spanien. Oft gut ausgebildete junge Familien oder Leute mit Ideen, die unsere Stadt bereichern. Sie bringen Geld, neue Kultur, neue Kunst. Nicht selten gründen sie Unternehmen. Und wenn es nur ein Ort ist, an dem sie Kaffee durch eine Aeropress jagen oder die Spezialitäten ihrer baskischen Heimat anbieten. Sie machen vieles von dem aus, was Berlin heute lebenswert macht, was Berlin sich bewegen lässt. Bloß geliebt werden diese Menschen dafür nicht. Auf Solidarität können sie nicht hoffen. Gleichgültigkeit scheint noch das höchste der Gefühle zu sein.

Diese Volksmoral ist bis hierher schon verrückt. Es wird noch verrückter, wenn man mal annimmt, dass die Wortführer dieses Neuberliner-Bashings vor zehn Jahren selbst mal Neuberliner waren. Frei nach dem Motto: Ich habe schon Yoga gemacht, als es noch nicht cool war. Und völlig durchgeknallt wird die ganze Problematik, wenn man annimmt, dass sich die Einschätzung zur Frage, wer ein guter und wer ein böser Migrant ist, außerhalb des S-Bahnrings um 180 Grad dreht… Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Von wegen Toleranz

Toleranz. Was rühmen sich die Kreuzberger, die Prenzlberger und die Mitte-Wohlfühl-Bourgeoise ihrer Toleranz. Voll weltoffen und so. Haben sie von ihren links-liberalen Mamis und Papis zwischen Lörrach und Oldenburg ja auch in ihre DNA gebrannt bekommen. Aber wenn es jetzt drauf ankommt, ist dieser Wert aus dem bürgerlichen Moral-Kanon offenbar einen Scheiß wert. Toleranz ist, was wir draus machen. Over and out.

Und daher kommt das dann. Das ich ich mich anhand von äußerlichen Merkmalen bewertet fühle. Ein Koffer, eine Sprache, da ist doch alles klar. Es ist ätzend.

Da ziehe ich mich dann lieber zurück in die neuen Biotope. In mein Lieblingscafé, das ich schon länger habe, zu dem gerade aber eine neue Liebe entflammt. Weil mich da Männer aus der Holz-und Bartfraktion, die beim Justin Vernon Look-a-like-Contest bestimmt einen der vorderen Plätze belegen würden, sehr freundlich anlächeln, wenn ich meine Bestellung auf deutsch aufgebe. Und sie mir dann ein entwaffnend freundliches „sorry?“ entgegnen. Dann mach ich es noch mal in englisch und keinem fällt es auf, weil sie hier eh alle englisch sprechen. Ist das jetzt eine Parallelkultur? Ist mir egal. Hier drinnen werde ich nicht beurteilt. Die Zimtrollen sind die besten der Stadt. Und am Sonntag zum Frühstück liefen die Beach Boys im Hintergrund.

I wish they all could be California girls.

Mario Münster ist Mit-Gründer und Chefredakteur des Online-Magazins ROSEGARDEN. Er arbeitet zudem als unabhängiger Kommunikationsberater und Campaigner.
Diese Meinungsäußerung ist privat.